Sparpolitik made in Germany - Veranstaltungsbericht

19.06.14 –

Viele Erfolgsberichte haben wir zuletzt aus den Medien vernommen: Griechenland ist zurück an den Finanzmärkten und Spanien erwägt aus dem Hilfspaket der EU auszutreten. Doch ist die Euro- und Schuldenkrise tatsächlich vorbei? Mit unseren europäischen Gästen Georgios Pappas (Korrespondent des Griechischen Rundfunks und der Tageszeitung TA NEA), Rosalia Romaniec (freie Journalistin und Mitarbeiterin in der polnischen Redaktion der Deutschen Welle), Cécile Calla (Chefredakteurin des Magazins ParisBerlin), Andreu Jerez Ríos (freier Mitarbeiter der Zeitung „ABC“ und in der spanischen Redaktion der Deutschen Welle) und Reinhard Bütikofer (Co-Vorsitzender der Europäischen Grünen Partei (EGP) und Europaabgeordneter) diskutierten wir über die aktuelle Situation in ihren Heimatländern und auch über Deutschlands Rolle in der europäischen Krisenpolitik. Unser Berliner Landesvorsitzender, Daniel Wesener, moderierte den Abend. Wir wollen euch den Inhalt nun nicht länger vorenthalten. Hier habt ihr die Möglichkeit, mehr über die Veranstaltung zu erfahren oder über den Livemitschnitt nachträglich und online daran teilzunehmen.

An diesem Abend standen zwei Fragen für uns im Fokus: Nach all den Fortschrittsmeldungen bezüglich der Euro- und Schuldenkrise, wie war die tatsächliche Lage kurz vor der Europawahl in Griechenland, Frankreich, Spanien und Polen? Und wie wird die deutsche Krisenpolitik in anderen europäischen Ländern beurteilt? Gibt es ein Spardiktat á la Merkel oder sieht man Deutschland als kompetente Führung auf dem Weg aus der Krise? Die Meinungen gingen oft auseinander, bisweilen waren auch einige Ressentiments bezüglich Deutschlands Rolle in der Krise zu vernehmen. Mehrere Journalist*innen bestätigten, dass die Beziehung ihrer Heimatländer zu Deutschland in den letzten Jahren sehr gelitten habe. Und doch – wie bei einer Liebesbeziehung – sind wir Europäer*innen durch die Krise stärker zusammengewachsen, als wir es momentan realisieren. Wir wissen auf einmal um die Marotten und Probleme anderer EU-Staaten. Wir kennen ihre Bildungssysteme, ihre Arbeitsmärkte, ihre Steuersysteme, ihre Kultur und ihre Sprachen besser denn je. Und diese Veranstaltung wäre ohne die Krise wohl nie so europäisch ausgefallen. Noch einmal: Vielen Dank an alle Teilnehmenden und Zuhörer*innen für den spannenden Abend.

Im Folgenden wollen wir euch einige Gesprächsauszüge präsentieren:

  • Erste Schritte aus der Krise bedeuten nicht, dass diese schon vorbei ist: Auf der wirtschaftlichen Ebene geht es für Griechenland kleine Schritte bergauf. Die gesellschaftliche Realität sieht jedoch immer noch nicht gut aus: hohe Arbeitslosigkeit und bei einem Teil der Bevölkerung nicht einmal genug Geld um den Strom zu bezahlen. Das sei, laut Georgios Pappas (griechischer Journalist), keine Seltenheit mehr. Auch in Frankreich ist die Stimmung durch die schlechte wirtschaftliche Lage geprägt. Die Arbeitslosenzahlen liegen bei zehn Prozent, die Angst vor einem schlechteren Lebensstandard durch die Eurokrise macht sich breit und viele Franzosen befürchten den Niedergang Frankreichs. In Spanien haben sich zwar die makroökonomischen Indikatoren verbessert, allerdings färbt das nicht auf die Bevölkerung ab: Über 25 Prozent der Bevölkerung sind arbeitslos – unter den jungen Leuten sogar über 50 Prozent – und seit Beginn der Krise mussten 171.000 Familien ihre Häuser verlassen. Und auch von Nachhaltigkeit im Staatshaushalt könne keine Rede sein, so Andreu Jerez (spanischer Journalist). Anders ist das Ganze in Polen: Dieses ist als einziges europäisches Land ohne Rezession durch die Krise gekommen und hat wirtschaftlich seit seinem Eintritt vor zehn Jahren durchaus von der EU profitiert. Auch da Polen in der Geschichte immer wieder von Krisen gebeutelt wurde, sehen die Pol*innen die jetzige Krise gelassen. Das kann man natürlich auch darauf zurückführen, dass Polen immer noch kein Mitglied der Eurozone ist. Trotzdem hat es mit ähnlichen Problemen wie die Krisenländer zu kämpfen: Etwa mit der hohen Arbeitslosigkeit in den ländlichen Gebieten, der Arbeitsmigration oder dem einsetzenden Fachkräftemangel. Zwei Millionen junge Menschen sind in den letzten Jahren aus Polen abgewandert. Auch in Brüssel weiß man: Die Krise ist noch nicht vorbei. Mario Draghi, Präsident der Europäische Zentralbank hat durch seine Zusage, alles zu tun was nötig ist, die Krisendynamik eingefroren. Es grenzt an ein Absurdum, dass Griechenland, trotz 170 Prozent Schulden des Bruttoinlandsproduktes, immer noch Geld bekommt. Deutschland hingegen hat stark von der Krise und den dadurch niedrigen Zinsen profitiert. Insgesamt sei der Weg aus der Krise allerdings nicht stabil und auch die Auseinanderentwicklung innerhalb der EU werde mit Sorge betrachtet, so Reinhard Bütikofer (Europäische Grüne Partei). Die Frage, die bleibt, ist: Wie kann eine neue Strategie der EU aussehen, um die Krise zu überwinden und sich selbst zusammenzuhalten?
  • Viele Länder hätten sich ein anderes Verhalten von Deutschland in der Krise gewünscht: Georgios Pappas hätte sich ein schnelleres Agieren der Deutschen Regierung in der Schuldenkrise gewünscht. Dadurch, dass Deutschlands Entscheidung zum Verbleib Griechenlands in der Eurozone auf sich warten ließ, wäre wichtige Zeit mit Warten und Verlusten vergeudet worden. Laut Pappas habe Merkel sich hier auf rein nationale Kriterien fokussiert und somit die Renationalisierung der europäischen Politik betrieben. Natürlich habe es in Griechenland auch Probleme im System selbst gegeben, sonst wäre es nicht in diesem Ausmaße kollabiert. Und doch: In einer Familie mit gemeinsamer Währung sei Helfen keine Nettigkeit, sondern notwendig, so Pappas. Auch Cecile Calla findet, dass Deutschland zu langsam reagiert hat. Durch das Zögern wären wichtige Schritte aufgehalten worden, so die französische Journalistin. Ohne eine Entscheidung Deutschlands war die EU nicht weiter gekommen. Dies wiederum habe die Franzosen und Französinnen veranlasst zu glauben, sie seien im Vergleich zu ihrem Nachbarland zu schwach. Reinhard Bütikofer verteidigt Deutschland: Deutschland sei nicht das einzige unschlüssige Land gewesen, sondern eines neben Finnland, Holland, Schweden und Österreich. Kritik habe es jedoch fast allein auf Deutschland gehagelt. Andreu Jerez aus Spanien findet es ebenso falsch zu sagen, Merkel sei an allem Schuld. Auch die Regierung seines Heimatlandes habe Fehler gemacht, so der spanische Journalist. Allerdings hätten Deutsche Banken 300.000 Millionen Euro systematisch in den Spanischen Immobiliensektor investiert und die Immobilienblase somit zum Platzen gebracht. Die Deutsche Regierung habe hier uneinsichtig und inkonsequent reagiert und die Banken aus der Verantwortung gezogen – ein weiterer Hinweis auf die Renationalisierung Deutscher europäischer Politik.
  • Europa braucht neue Lösungen für den Weg aus der Krise: Spanien brauche, so Jerez, einen zweiten demokratischen Übergang. Es müsse weg vom Zweiparteiensystem hin zu einem Pluralismus der Parteien, denn die beiden etablierten böten keine neuen Lösungen mehr an. Auch Deutschland solle sein Verhalten in der Krise kritischer betrachten und mehr Kooperationswillen zeigen. Nicht jedes Land werde dem Deutschen Modell folgen um beispielsweise die hohe Arbeitslosigkeit zu überwinden. Leiharbeit, Zeitarbeit und 400-Euro-Jobs würden vergleichsweise unter schlechteren Arbeitsbedingungen angeboten werden und seien zu kurzfristig gedacht, so der spanische Journalist. Die Polen und Polinnen vertrauen der deutschen Europapolitik, meint Rosalia Romaniec (polnische Journalistin). Befände sich Polen in der Eurozone, so würde es wohl mit Deutschland gemeinsame Sache machen. Um das Problem der Jugendarbeitslosigkeit müsse man sich jedoch schnellstmöglich kümmern. Polnische Politiker würden hier vorschlagen, einen europäischen Jugendfonds von 20 Mrd. Euro einzurichten. Ebenso wäre eine Energieunion für Europa denkbar. Allerdings würden sich der Deutschen und der Polnische Leitgedanke hier beißen. Polen setze nämlich stark auf Kohle und nicht auf die Energiewende, so Romaniec. Georgios Pappas aus Griechenland fragt sich, wann denn die Eurobonds kommen. Wird das der nächste strukturelle Schritt für die gemeinsame Währung sein? Cecile Calla hofft auf eine Wirksamkeit der in Angriff genommenen Strukturreformen in Frankreich, um die internen Probleme zu lösen. Stellvertretend für Deutschland im Europaparlament sieht Reinhard Bütikofer die Lösung in einem dreifachen „S“: Solidarität, Solidität und Sustainability. Oder anders formuliert: Gemeinschaftssinn, wirtschaftlicher Stabilität und Nachhaltigkeit. Man brauche qualitatives und nachhaltiges Wachstum und Investitionen in die Infrastruktur, in verarbeitendes Gewerbe und in ökologische Effizienz, sowie den IT-Sektor, um diese Krise zu überwinden. Diese Investitionen können jedoch nicht gemacht werden, wenn den Ländern auch noch striktes Sparen auferlegt werde. Die Kommission sei gerade dabei einen Lösungsansatz für die hohe Jugendarbeitslosigkeit zu finden: Es solle sechs Milliarden Euro jährlich geben, um Jugendlichen nach vier Monaten Arbeitslosigkeit einen Job zu vermitteln. Dies sei mit 150 Euro pro Kopf und Jahr jedoch bei weitem zu wenig, so Bütikofer. Man brauche Pläne für eine Zeit in der Mario Draghi und der Europäischen Zentralbank die Ideen ausgehen. Dies könne der EU-Plan für 2020 sein, der momentan aber am politischen Horizont verschwunden sei.