Die Piratenpartei und die Grünen - eine Wahlanalyse

19.12.11 –

von Christine Dörner

(Stachlige Argumente Winter 2011, Nr. 184, Seite 30f.)

Die Piratenpartei erzielte bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus im September 2011 ein beeindruckendes Ergebnis: Aus dem Stand erreichte die Partei 8,9% der Stimmen. Sie gewannen rund 130 000 Stimmen. Bemerkenswert ist insbesondere, dass sie flächendeckend gewannen, selbst ihr niedrigster Anteil in einem Bezirk beträgt noch 6,4 % in Steglitz-Zehlendorf, in Mitte und Pankow erreichten sie mehr als 10 %, in Friedrichshain-Kreuzberg sogar 14,7 %. Ihr Erstimmenergebnis ist geringer als das Zweitstimmenergebnis, auch weil sie nicht in allen Wahlkreisen Kandidaten aufgestellt hatten. Sie können in alle Bezirksverordnetenversammlungen einziehen und haben nach dem Wahlergebnis in Friedrichshain-Kreuzberg sogar Anspruch auf einen Stadtrat. Die Partei war sowohl im Osten wie im Westen für die WählerInnen also gleichermaßen attraktiv.
Grund genug, diese Partei und ihre Wähler genauer zu analysieren.

Zwar ist sind die Mitglieder bei den Piraten meist jung, männlich, gut ausgebildet und in einem technischen Beruf tätig, ihre Wählerschaft ist jedoch nicht auf diese Merkmale zu reduzieren. Bei den 18- bis 34-Jährigen liegt der Anteil der WählerInnen bei ca. 16%, bei den 45- bis 59-Jährigen ist er mit 8% noch hoch, erst die über 60-Jährigen haben sich nur noch zu 3% für die Piraten entschieden. Schulbildung oder sozialer Status sind aber nicht der entscheidende Faktor für die Wahl der Piratenpartei. Mit 13% ist der Anteil der Wähler bei den Arbeitslosen fast genauso hoch wie bei den Selbständigen, die zu 14% die Piratenpartei gewählt haben.

 

Die Wählerwanderungen

Woher kommen nun die Wähler der Piratenpartei? Schaut man sich die Wählerwanderung zugunsten der Piratenpartei an, so zeigt sich ein verblüffendes Ergebnis.

Die Piraten erlangten von den Nichtwählern 23 000, den sonstigen Parteien 22 000, den Grünen 17 000, der SPD 14 000, Die Linke 13 000, der FDP 6 000 und der CDU 4 000 Stimmen.

Die Piratenpartei konnte vor allem im Lager der Nichtwähler und bei den Wählern von Kleinparteien – üblicherweise in der Wahlstatistik unter „Sonstige“ zusammengefasst- mobilisieren. Aber auch der Abfluss von Stimmen aus dem sogenannten linken Lager (SPD, Grüne, Die Linke) ist nicht unbeträchtlich.

Das Statistische Landesamt hat Korrelationsrechnungen zwischen sozialstrukturellen Merkmalen in den Wahlkreisen und den Stimmenanteilen der Parteien durchgeführt. und kommt zu folgenden Ergebnissen: „Im Westen ist die Piratenpartei in Gegenden mit vielenjungen Wählern und Ausländern erfolgreicher. Die Wahlergebnisse sind bei größeren Anteilen älterer Menschen und Personen mit langer Wohndauer, in Berlin-West auch bei vielen Hochbetagten und kirchlich Gebundenen im Wahlgebiet deutlich schwächer. Im Ostteil der Stadt dagegen sind die Quote an Kirchenmitgliedern und auch der Anteil an jungen Frauen jeweils günstige Strukturindikatoren für die Piraten. Grüne und Piraten verzeichneten bei dieser Wahl die größten Zuwächse. Die Piraten erzielten in den Hochburgen der Grünen die höchsten Zweitstimmenanteile (14,2 % im Ostteil). Im Westteil gilt ein ähnliches Bild, das aber durch die Hochburgen von Die Linke ergänzt wird. In diesen Gebieten ging auch der Anteil der Nichtwähler stärker zurück. Im Ostteil in den Hochburgen der Grünen beispielsweise um 7,6 Prozentpunkte. Die Piraten korrelieren positiv mit der Verteilung der Grünen-Zweitstimmen in den Briefwahlbezirken im Ostteil mit r=0,79 und im Westteil mit r=0,63. Dort, wo die Grünen überdurchschnittlich stark sind, sind auch die Piraten beheimatet. Werden die 526 Briefwahlbezirke zugrunde gelegt und die Korrelationen zwischen den Zweitstimmenanteilen 2006 und der aktuellen Abgeordnetenhauswahl berechnet, bestätigt sich dieses Bild. Die Piraten sind dort überdurchschnittlich, wo die Grünen 2006 stark waren bzw. im Westteil auch Die Linke gute Ergebnisse hatte.

 

Die Technik macht´s…

Man wird wohl davon ausgehen können, dass Grüne und Piraten teilweise um das gleiche Wählerreservoir konkurrieren. Meine These ist, dass die Piraten attraktiv für technisch-naturwissenschaftlich orientierte Wähler und Wählerinnen sind. Für diese Wählerschicht sind die Grünen zu wenig technikkompetent. Ausgehend von der Kritik an der Atomenergie wurde Technologiekritik auch auf andere Bereiche übertragen. So wurden Personal-Computer von den Grünen in den 80iger Jahren als Rationalisierungsinstrument weitgehend abgelehnt und in den 90iger Jahren widerwillig als Arbeitsmittel akzeptiert.
Während sich die Grünen mit der Atomtechnologie gründlich auseinandergesetzt und auf diese Weise ein umfangreiches Wissen erarbeitet haben, so gilt dieses nicht für die digitale Welt. Mittlerweile werden die neuen Technologien und ihre Angebote – Internet, E-Mail, Web2.0, etc. – als Kommunikationsmittel und –angebote ungezwungen genutzt, verstanden sind ihre technologische Basis und somit ihre Implikationen nicht. Deutlich wurde dieses u. a. an der unklaren Haltung der grünen Bundestagsfraktion zu Netzsperren bei Kinderpornografie.

 

…allein sicherlich nicht.

So sprechen sich die Grünen unter dem Motto „meine Daten gehören mir“ in ihrem Wahlprogramm für einen konsequenten und umfassenden Datenschutz aus, sie haben aber anscheinend keine Ahnung, was dieses im Zeitalter des Internet bedeutet. Sonst wäre es nicht möglich, dass die Partei auf ihren Webseiten Kontakt- und Eintrittsformulare anbietet, die so sensible Daten wie Telefonnummern, Emailadressen, Beruf und Geburtsdatum abfragen – und das ohne Verschlüsselung auf unsicheren Übertragungswegen. HTTPS-Verschlüsselung ist Bestandteil jedes Webservers und jeden Browsers, sie müsste nur genutzt werden. Die Grünen verhalten sich bisweilen zu den neuen Technologien wie ein Handynutzer, dem nicht bewusst ist, dass ein eingeschaltetes Mobiltelefon auch ein Instrument zur Ortung der Person ist.

Es wird nicht reichen, größeren Wert auf Datenschutz und Bürgerrechte im digitalen Raum zu legen, wenn dieser Sachverstand ähnlich wie in der Atomfrage nicht erworben wird. Genau diese fehlende Kompetenz ist die Basis für die Attraktivität der Piratenpartei, nicht fehlende oder etwas schwammige Stellungnahmen seitens der Grünen.

 

1 Alle Zahlen stammen entweder aus den Berichten der Landeswahlleiterin oder von infratest dimap.